Schmerzhafte Krämpfe und fast 40 Fieber. Der Rettungsdienst winkt ab: Nicht schlimm genug. Beim ärztlichen Bereitschaftsdienst ist das Telefon dauerbesetzt. Das nächste Krankenhaus? Zwei Autostunden entfernt. Wartezeit dort? Mindestens fünf Stunden. Die Hausärztin? Hat schon vor zwei Monaten ihre Praxis dicht gemacht. Kein Nachfolger in Sicht. Termine beim Facharzt? Fragen Sie nächstes Jahr mal wieder nach. Von solchen Horrorszenarien mögen wir noch ein Stück entfernt sein. Doch die Abwärtsspirale, in die Deutschlands Gesundheitswesen aufgrund einer fehlgeleiteten Politik geraten ist, nimmt Fahrt auf.
Krankenhäuser in Existenznot
Viele Kliniken blicken sorgenvoll in die Zukunft. Zugleich sehen sie die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betriebene Krankenhausreform mit großer Skepsis, wie eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) ergab. Fast 70 Prozent sehen demnach ihre Existenz kurz- oder mittelfristig gefährdet.
Kaum eine Woche ohne Hiobsbotschaften: “Städtisches Krankenhaus Kiel: Dramatische Situation”, “Krankenhäuser in Finanznot: Alarmstufe dunkelrot“, “Sprunghafter Anstieg bei Klinik-Insolvenzen”, “NRW: Schon neun Krankenhäuser haben Insolvenzverfahren beantragt”. Nicht weniger beunruhigend die Nachrichten aus dem niedergelassenen Bereich: “Berliner Ärzte beklagen Praxissterben: Gesundheitsversorgung in akuter Gefahr”,”Ambulante Versorgung gefährdet”, “1.100 Arztsitze in Baden-Württemberg vakant”, “Bundesweit fehlen 4.000 Hausärzte”.
Im Gesundheitswesen läuten Alarmglocken
Die lange Reihe der Negativschlagzeilen macht deutlich, dass Deutschlands Gesundheitswesen einen schmerzhaften Niedergang erlebt. Zehntausende gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten zwischen Rügen und Schwarzwald, zwischen Alpen und Nordsee bekommen die Folgen bereits zu spüren. Krankenhausdirektoren und Verbandsfunktionäre, Ärzte- und Patientenvertreter, auch Landesregierungen und viele Gesundheitspolitiker läuten Alarmglocken.
Proteste gegen Klinikschließungen und Praxissterben
In den zurückliegenden Wochen haben Tausende Krankenhausmitarbeiter ihrem Ärger auf der Straße Luft gemacht. Auch Zehntausende Bürgerinnen und Bürger haben gegen Klinikschließungen und Praxissterben protestiert. Überall in Deutschland folgten niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Anfang Oktober einem Aufruf des Virchowbundes und ließen Haus- und Facharztpraxen für mehrere Stunden geschlossen. Die Protestkampagne “Praxis in Not” dauert an. Weitere zeiweilige Schließungen werden vorbereitet.
“Die Praxen sind durch verschiedenste Regelungen, insbesondere aber auch durch Beschränkungen der Abrechnungsmöglichkeiten, mittlerweile so stranguliert, dass sie Leistungen einschränken müssen, weil sie das nicht mehr finanzieren können.“, sagt der Virchowbund-Vorsitzende, der HNO-Arzt Dirk Heinrich.
An den Protesten beteiligen sich mehrere Interessenvertretungen, darunter die Verbände der niedergelassenen Chirurgen, der HNO-Ärzte, der Dermatologen, der Orthopäden und Unfallchirurgen und der Gastroenterologen sowie der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands.
Mit Scheuklappen und Schaum vor dem Mund
Wie reagiert das Bundesgesundheitsministerium? Mit einer Mischung aus Vogel-Strauß-Taktik (Kopf in den Sand stecken), Abwimmeln, Floskeln und Täuschungsmanövern. Derweil versucht Lauterbach mit Scheuklappen vor den Augen und Schaum vor dem Mund, seine nach wie vor umstrittene Krankenhausreform durchzupeitschen.
Warnungen von Betroffenen werden ignoriert. Darunter auch diese von Roland Ventzke, Geschäftsführer des angeschlagenen Städtischen Krankenhauses in Kiel: “Wir befinden uns in einer für die Krankenhäuser dramatisch schwierigen wirtschaftlichen Situation. Und Herr Lauterbach schiebt das ganze Thema auf die Reform, die vor 2026 keine Wirkung zeigen wird.”
Viele Kliniken werden Lauterbachs Reform nicht überleben
Bis dahin, so viel ist sicher, wird es viele der Kliniken, die heute noch insgesamt Zehntausende Menschen medizinisch versorgen, nicht mehr geben. Laut Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) haben innerhalb eines Zeitraums von knapp einem Jahr, beginnend im November 2022, 26 Träger mit insgesamt 34 Krankenhäusern Insolvenzanträge gestellt.
In mehreren Fällen konnten zwar Bankrotte vermieden werden, da die örtlichen Kommunen als Retter eingesprungen sind. Doch am Abwärtstrend ändert das kaum etwas. Einer Umfrage der Unternehmensberatung Roland Berger unter den 600 größten deutschen Kliniken zufolge schreibt über die Hälfte rote Zahlen. “Wir stehen tatsächlich am Beginn eines unkontrollierten Krankenhaussterbens”, räumte Lauterbach im Sommer im Interview mit BILD ein. Er fügte hinzu: “Ohne die Reform würden wohl 25 Prozent der Krankenhäuser sterben.”
Das ist nichts weiter als eine Vermutung, deren Realitätsgehalt derzeit niemand seriös überprüfen kann. Ebenso gut ließe sich vermuten, dass es mit der Reform, die der Minister als “Revolution” angepriesen hat, noch viel schlimmer kommt - und weit mehr als ein Viertel der Kliniken auf der Strecke bleiben werden.
Transparenzgesetz ist überflüssig
Immerhin gibt es einen “Trost”: Dank des kürzlich von der Ampel-Mehrheit durch den Bundestag gebrachten Krankenhaustransparenzgesetzes sollen sich Patientinnen und Patienten künftig auf einer zentralen Internetplattform über die angebotenen Behandlungen und Qualitätsstandards der am Ende noch übrig gebliebenen Kliniken leichter informieren können.
In Wirklichkeit ist dieser neue Online-Qualitätsatlas überflüssig wie ein Kropf. Bereits jetzt gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich über die Qualität von Krankenhäusern und deren Therapieangebote zu informieren. Und schon heute wird niemand, der eine komplizierte Krebsoperation braucht, damit schnurstracks in das nächstbeste Landkrankenhaus gehen, sondern nach Kliniken suchen, die darauf spezialisiert sind.
Schritt in Richtung Staatsdirigismus
Gesteuert wird die neue “Transparenz” natürlich durch das BMG. Unverkennbar ist das ein weiterer Schritt in Richtung Staatsdirigismus. Dafür wird auf Kosten der Steuerzahlenden ein weiteres Bürokratiemonster geschaffen. “Entgegen der gebetsmühlenartig wiederholten Ankündigung des Ministers für eine Entbürokratisierung zu sorgen, werden neue Meldepflichten ohne Mehrwert mit großem Aufwand geschaffen”, kritisiert der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß.
Nicht weniger wirklichkeitsfremd agiert das Ministerium auf die Herausforderung durch das Praxissterben. Eintausend so genannte Gesundheitskioske sollen es richten und künftig die vielerorts wegbrechende ambulante Versorgung ersetzen. Dabei kann Lauterbach weder eine solide Finanzierung dieser Schnapsidee vorweisen, noch eine nachvollziehbare Erklärung, mit welchem Personal diese Einrichtungen betrieben werden sollen.
Gemeindeschwester Monika statt Hausarzt
Zu befürchten ist, dass künftig “Gemeindeschwester Monika” - hinlänglich bekannt aus DDR-Zeiten - vielerorts den Hausarzt ersetzen soll. Unionspolitiker wie Bayerns amtierende Gesundheitsministerin Ulrike Scharf stellen sich auf die Seite der Protestierenden: „Wir brauchen stabile Praxen ..., keine teuren Parallelstrukturen wie Gesundheitskioske.”
CDU und CSU teilen die Sorge vor einer „kalten Strukturbereinigung” und fordern, dass die Kliniken vor der praktischen Umsetzung der Krankenhausreform im Zuge eines Vorschaltgesetzes finanziell dagegen abgesichert werden, dass sie infolge der Belastungen durch die Covid-Pandemie, gestiegene Energiepreise und die hohe Inflation pleite gehen. Im Hause Lauterbach hat man dafür nur ein Schulterzucken übrig.
Forderung an Bundesregierung: Kurswechsel in der Gesundheitspolitik
Nicht nur die Kliniken, auch die freien Heilberufe klagen über politische Fehlsteuerungen. Ihre Spitzenverbände haben die Bundesregierung in einem dringenden Appell aufgerufen, einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik zu vollziehen. Andernfalls werde schon im Frühjahr 2024 eine spürbare Verschlechterung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung eintreten, warnte Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Werden die Warnungen etwas bewirken? Wohl kaum, solange Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Genossen Gesundheitsminister ungebremst schalten und walten lässt. Dass Lauterbach dabei seine eigene Agenda verfolgt, pfeifen die Spatzen von den Dächern des BMG.
Worin diese Agenda besteht, hat der Virchowbund-Vorsitzende Dirk Heinrich in einem Beitrag für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” herausgearbeitet: Lauterbachs “roter Faden” als langjähriger SPD-Gesundheitspolitiker führe direkt hin zu einem staatlichen Gesundheitswesen samt “Bürgerversicherung” als staatlicher Einheitskasse.
Lauterbachs Agenda: Verstaatlichung des Gesundheitswesens
Heinrich geht so weit, dem Minister vorzuwerfen, er entziehe den Arztpraxen zielgerichtet Mittel, etwa durch die Streichung der Neupatientenregelung, mit der schnellere Behandlungen neu Erkrankter erreicht worden war. Das sei kein Zufall, sondern Teil einer Strategie. Das Ziel: “Primärversorgung in kommunalen Primärversorgungszentren durch Gemeindeschwestern und den Restbestand an Hausärzten, fachärztliche Versorgung ambulant und stationär am Krankenhaus.”
Letztlich läuft das auf eine schleichende Verstaatlichung des deutschen Gesundheitswesen hinaus. Die Grundlagen dafür schafft Lauterbach seit er 2022 von Scholz ins Amt gerufen wurde. Die ersten Folgen dieser Art von Gesundheitspolitik erleben wir bereits. Das Ergebnis beschreibt Heinrich so: “Alles wird weniger werden. Weniger Ärzte, weniger Medizin, weniger Termine sind die absehbaren Folgen. Zu mehr Gesundheit jedenfalls führt das nicht.” Ob Stimmen wie diese irgendwann im Kanzleramt wahrgenommen werden?
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