Die Freude im sozialdemokratischen Lager war groß, als zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat in Deutschland einen Sieg davontrug. Nach der Bundestagswahl wähnte sich die SPD gar am Beginn eines sozialdemokratischen Jahrzehnts. Von der anfänglichen Euphorie ist längst nichts mehr übriggeblieben. Dann die Sozialdemokratie steckt in einer tiefen Krise.

Im alten SPD Stammland, Nordrhein-Westfalen, bekommt sie keinen Fuß mehr auf den Boden, in Bayern, wo man im Herbst einen neuen Landtag wählt, ist sie einstellig und auch im Bund sind die Werte für die Roten aktuell verheerend. Von einem Kanzlerbonus spürt man nichts.

Nur noch fünf sozialdemokratische Regierungschefs

Schaut man sich jedoch im Rest Europas um, scheint es kein rein deutsches Phänomen zu sein. So gibt es in Europa aktuell nur noch 5 sozialdemokratische Regierungschefs – in Deutschland, Spanien, Portugal, Malta und Dänemark.

Besonders deutlich wird der Abstieg, wenn man einen Blick auf die französischen Sozialisten wirft, die seit den Präsidentschaftswahlen 2017 um ihr politisches Überleben kämpfen. Gleiches gilt für die niederländische Partei der Arbeit, die von soliden 24,8 Prozent im Jahr 2012 auf magere 5,7 Prozent bei der letzten Wahl 2021 stürzte.

Auch in Skandinavien, wo sozialdemokratische Parteien teilweise den Status von Staatsparteien hatten, wurde aus den Regierungsämtern gefegt. Nach und nach ist eine sozialdemokratische Bastion nach der anderen gefallen.

In Schweden verschob sich das politische Gewicht deutlich nach rechts, wenig später mussten sich auch die Sozialdemokraten von Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin, die für ihre authentische Art und ihren frischen Kommunikationsstil gelobt wurde, geschlagen geben. Der internationale Star am sozialdemokratischen Himmel war rasch wieder verglüht.

Machtkampf in der SPÖ um den Vorsitz

Auch in meiner österreichischen Heimat sind die Roten in einer schwierigen Lage. So konnten sie bei der letzten Nationalratswahl, die unter dem Eindruck der Ibiza-Affäre stattfand, keinerlei politisches Kapital schlagen, sondern mussten sogar noch Stimmverluste hinnehmen. Auch die aktuelle Umfrageflaute der konservativen Volkspartei scheint den Sozialdemokraten nicht zu nutzen. Der größte Nutznießer ist momentan die rechtspopulistische FPÖ, die in den Umfragen gerade führt.

Der aktuelle Machtkampf in der SPÖ um den Vorsitz wird hier wenig hilfreich sein. Die brave und zurückhaltende Bundesvorsitzende, Pamela Rendi-Wagner, hat eine verheerende Bilanz. Rendi-Wagner führt die der SPÖ seit dem Abgang von Ex-Kanzler Christian Kern Ende 2018 und hat eine Wahl nach der anderen verloren.

Ihr größter Konkurrent, der Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil, hingegen ist ein Sozialdemokrat vom alten Schlag. Ein kantiger Typ, der anpackt. Der ehemalige Polizist steht für einen harten Kurs in Sachen Migration. Er möchte notfalls mit Grenzanlagen Migranten an der illegalen Einreise nach Österreich hindern. Für Rendi-Wagner ein Unding. An den Vorgängen in Österreich sieht man eindrücklich das Dilemma der Sozialdemokraten.

Sozialdemokratischen Milieus sind verunsichert

Der kontinuierliche Zustrom von Migranten seit 2015 hat viele Wähler aus klassischen sozialdemokratischen Milieus zutiefst verunsichert. Während einige befürchten, ihre Arbeitsplätze an billigere Arbeitskräfte zu verlieren, befürchten andere die Erosion der Ordnung im öffentlichen Raum. Eine Problematik, die man nicht von der Hand weisen kann.

Parteien wie die FPÖ profitieren von derartigen Ängsten. Die Sozialdemokratie muss hierbei erst noch eine erfolgreiche Strategie finden, um solchen Stimmungen zu begegnen. Bisher ist das nicht der Fall. Eine Anbiederung an die linke Identitätspolitik und das Absingen des hohen Liedes des bedingungslosen Multikulturalismus wird sicherlich keinerlei Abhilfe schaffen.

Die Ergrünung der Sozialdemokratie birgt Gefahren

Eine Annäherung an den grün-avantgardistischen Zeitgeist mag teilweise logisch und verlockend erscheinen, birgt für die alten Arbeiterparteien jedoch große Gefahren. Sie verprellen die geerdete Stammwählerschaft ohne nennenswerte Zugewinne im urbanen Milieu zu erzielen. Auch machen ihnen neue ökologische Bewegungen die Meinungsführerschaft streitig. Taktgeber links der Mitte sind dann andere. Rechts der Mitte ohnehin.

Die Krise der Sozialdemokratie in Europa ist auch eine Krise der politischen Systeme. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Sozialdemokratie zusammen mit der Christdemokratie eine der zentralen Säulen der europäischen Demokratien. Ihr Niedergang, der mit dem rasanten Aufstieg der Populisten auf der rechten und linken Seite des politischen Spektrums einhergeht, macht den Kontinent instabiler. Es ist daher wichtig, dass die sozialdemokratischen Parteien erkennen, welche integrative Rolle sie in den Demokratien Westeuropas spielen.

Um jedoch wieder einen Aufstieg in den Umfragen zu erleben, müssen Sozialdemokraten in Europa der Realität endlich ins Auge blicken. Migration und innere Sicherheit sind europaweit längst keine Themen mehr, die nur Wähler konservativer Parteien berühren. Neben der sozialen Sicherheit muss auch die innere Sicherheit oben auf die Agenda. Der Erfolg der dänischen Sozialdemokraten dürfte vor allem deren programmatischen Umgang mit Blick auf die Migration geschuldet sein. Wenige Länder sind so restriktiv bei Asyl und Einwanderung wie Dänemark. Solange man sich jedoch linksliberalen Denkmustern anbiedert, bleiben die Zukunftsaussichten düster.